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Bericht ZUVERSICHT!-Fachtag – seelische Gesundheit in der Personenbetreuung

16.05.2025, 9:00-13:00

Der Zuversicht!-Fachtag am 16. Mai 2025 im Grazer Rathaus, gestaltet von inspire – Bildung und Beteiligung, bot Fachimpulse, Vernetzung, Projektergebnisse und Handlungsempfehlungen zur seelischen Gesundheit in der Personenbetreuung (24-Stunden-Betreuung). Dabei wurden anspruchsvolle Themen wie das Sterbeverfügungsgesetz, die Selbsthilfe-Landschaft und natürlich die Arbeitsbedingungen in der Personenbetreuung angesprochen. Auch der geplante, innovative Transfer der Projektergebnisse mittels partizipativer Theaterworkshops wurde den engagierten Teilnehmenden vorgestellt.

Das Gruppenfoto vor dem Stadtsenatssitzungssaal mit allen Teilnehmenden ist Symbol für die gleichberechtigte, partnerschaftliche „Zuversicht“-Herangehensweise: Ohne ein dichtes, multiprofessionelles, wohlwollendes Netzwerk ist Gesundheitsförderung nicht umsetzbar.

Einbegleitet hat die Journalistin und Moderatorin Claudia Gigler den gut besuchten Fachtag mit Erfahrungsberichten, wie es Personenbetreuer*innen geht, wenn sie selbst in gesundheitliche Turbulenzen kommen und dabei im Dschungel des Gesundheitssystems fast untergehen. Ca. 60.000 Personenbetreuer*innen arbeiten in österreichischen Privathaushalten, zumeist selbständig, viele davon im Alter armutsgefährdet. 97% sind weiblich. Fast alle kommen aus Rumänien, der Slowakei, Bulgarien sowie Kroatien. Wertschätzende und fachkompetente Begrüßungsworte kamen von Gesundheits-Stadtrat Robert Krotzer in Vertretung Bürgermeisterin Elke Kahr, LTAbg. Sandra Holasek in Vertretung Gesundheits-Landesrat Karlheinz Kornhäusl und Gudrun Braunegger-Kallinger vom Fonds Gesundes Österreich. Sie leitet die Österreichische Kompetenz- und Servicestelle für Selbsthilfe. Auch LAbg. Sandra Krautwaschl nahm an der Veranstaltung teil.

Michaela Wlattnig

Eröffnungsrednerin war Michaela Wlattnig, Juristin und seit 2019 PatientInnen- und Pflegeombudsfrau des Landes Steiermark. Seit 2022 ist sie Sprecherin der ARGE der Patient*innen- und Pflegeanwaltschaften Österreichs. Ihr Vortrag zum Sterbeverfügungsgesetz hat insofern Bezug zur Personenbetreuung, als beim „assistierten Suizid“ Personenbetreuer*innen als vertraute, nahestehende Personen zunehmend einbezogen werden könnten. Michaela Wlattnig stellte die breiten Zuständigkeiten der Patient*innenanwaltschaft vor. Zu diesen gehört die kostenfreie Information und bei Bedarf Errichtung von Sterbeverfügungen. Dies ist seit 1.1.2022 in Österreich gesetzlich möglich. Die Praxiserfahrungen wurden ebenfalls pointiert vorgestellt. Maßnahmen für einen offenen breiten gesellschaftlichen Diskurs und die Begleitung aller beteiligten Personen sind in Österreich jedoch noch deutlich ausbaufähig, so die Patientenanwältin abschließend.

Veronika SpillerVeronika Spiller, Selbsthilfe Steiermark/Jugend am Werk, stellte die Angebote der Selbsthilfe Steiermark vor. 180 der in Österreich etwa 1.700 Selbsthilfegruppen und -organisationen finden sich in der Steiermark. Veronika Spiller arbeitete theoretisch und praktisch fundiert heraus, wie bedeutend die Selbsthilfe als Ergänzung der Gesundheitsversorgung ist. Die Herausforderungen bestehen bei Zugangsschwellen (z.B. regionale Streuung, Alter, …) und den ungleich verteilten Ressourcen der Betroffenen (z.B. sozioökonomischer Status, Sprachgewandtheit, …), was die Gefahr einer „stillen Selektivität“ in der Selbsthilfe mit sich bringt. Veronika Spiller empfahl, die Interessen der Personenbetreuer*innen, ihrer Klient*innen, der Angehörigen und – wo möglich und förderlich– die der Agenturen für bessere Schnittstellen hin zur Selbsthilfe miteinzubeziehen.

Mehrere Vertreter*innen der Selbsthilfe-Bewegung nahmen am Fachtag teil, zum Beispiel Didi Ogris vom Verein Selbstbestimmt Leben Steiermark und Katharina Steiner von der SL-Steiermark-Frauengruppe.

Präsent waren beim Fachtag auch die engagierten Selbsthilfe-Organisationen Achterbahn Steiermark, Salz – Steirische Alzheimerhilfe und Menopause Café Steiermark. Weiters die Fachstellen GO-ON Suizidprävention Steiermark und Rettet das Kind Steiermark GmbH.

Die Pause mit Speisen von der ISOP-plauderBar diente der Vernetzung und der Reflexion.

Anna Durisova, Viktoria AdlerViktoria Adler vom Zentrum für Public Health an der MedUni Wien und Anna Ďurišová, Personenbetreuungs-Aktivistin und tätig bei der Beratungsstelle CURAFAIR, Volkshilfe OÖ, traten in einer Doppel-Conférence auf: beide haben beim Projekt Migra Care bereits zusammengearbeitet: Ziel war, „24h Betreuer*innen“ – Personenbetreuer*innen – besser ins österreichische Pflegenetzwerk zu integrieren. Viktoria Adler präsentierte aktuelle Pflege-Daten: Bei den Pflegegeldbezieher*innen erfolgt zu 79% die Langzeitpflege zu Hause: durch Angehörige (zu 42%, Tendenz sinkend), durch mobile Dienste und Tagesbetreuungszentren (zu 32%, plus Angehörige, Tendenz steigend) und durch „24h“-Betreuung (zu 5%). Die stationäre Langzeit-Pflege in Pflegeheime und ähnlichen Institutionen nehmen 21 % der Pflegegeldbezieher*innen in Anspruch – Tendenz steigend. Anna Ďurišová untermauerte mit ihrer eigenen Erfahrung als Personenbetreuerin, als Aktivistin und als Beraterin von Personenbetreuer*innen die von Viktoria Adler vorgestellten Migra-Care-Online-Umfrage-Ergebnisse: Mehr Anerkennung und Respekt für die fordernde Tätigkeit, der schwierige Umgang mit dem unklaren Berufsbild „Personenbetreuung“, das leider Grenzüberschreitungen mit sich bringen kann (z.B. Putzarbeiten oder medizinische Tätigkeiten, für die keine spezielle Qualifikation besteht) und mangelnde Unterstützung in Krisen sowie zu wenig passende Bildungsangebote kamen zur Sprache. Das österreichische Sozialversicherungs- und Abgabensystem ist schwer zu verstehen – auch für Österreicher*innen mit Erstsprache Deutsch. Für die zuwandernden Personenbetreuer*innen kommt es, auch mangels Kenntnis der Strukturen wie Wirtschaftskammer, SVS, Finanzamt, oft zu unerwarteten, teils hohen finanziellen Belastungen. Auch mangelhafte, intransparente und unfaire bis rechtswidrige Verträge seitens bestimmter Agenturen kamen zur Sprache.

Edith Zitz von inspire stellte im Namen des Teams die Projektarbeit und Handlungsempfehlungen aus dem Projekt Zuversicht! vor: Auf verhältnispräventiver Ebene wurde das steirische Pflege- und Betreuungsgesetz gewürdigt, da es erstmalig einen Personenbetreuungs-Passus enthält. Allerdings ist der bei Landes-Förderung vorgesehene Regress ein Widerspruch zur Gesundheits-Strategie “mobil vor (teil-) stationär”. Die niederschwelligen Betreuerinnen-Cafés von inspire gemeinsam mit der Pfarre Herz-Jesu Graz und IG 24 eröffneten bei Kaffee und Kuchen Raum für Erholung, Vernetzung und Fachimpulse zu Gesundheitsförderung, Selbsthilfe und pflegebezogenen Deutschkursen. Dazu meinten die Café-Teilnehmerinnen: „Jetzt werden WIR einmal bedient!“ Austauschrunden (in Präsenz und Online) mit stakeholdern und Multiplikator*innen zum Netzwerkausbau und mit pflegenden Angehörigen zeigten die Bedeutung von Informations-Weitergabe, aber auch der Zugewandtheit in belastenden Situationen auf. Dazu ein Austauschrunden-Teilnehmer: „Ich will dich damit nicht belasten, aber darf ich dir das erzählen, du kennst das ja selber…“ Die Zuversicht-Workshops für Personenbetreuer*innen zu „Umgang mit Demenz und mit sexueller Belästigung“ und zu „Sterbebegleitung“ mit Hinweisen auf Hospiz- und Palliativangebote organisierte inspire in Kooperation mit der Agentur „Altern in Würde“ und mit IG 24. Zitat einer Personenbetreuerin im Demenz-Workshop bezüglich sexueller Belästigung: „Also, die Kinder von meinem Klienten haben das gar nicht glauben können, dass ihr Papa sowas macht…“. Als Handlungsempfehlungen arbeitete Edith Zitz heraus, dass Koalitionen-Bilden für verbesserte Arbeitsbedingungen einen Gewinn für alle Beteiligten darstellt. Zugleich muss man achtsam auf die Land-Stadt-Unterschiede sein und rassistische, sexistische Abwertungen von Personenbetreuer*innen engagiert abwehren. Auch die Schnittstelle zum steirischen und Bundes-Pflege-Diskurs ist zu sichern.

Michael WrentschurMichael Wrentschur, engagiert bei InterACT und tätig an der Uni Graz, präsentierte „GETEILTES LEBEN. Partizipative Theaterworkshops zur Situation von 24-Stunden-Personenbetreuer*innen“ erstmals der Öffentlichkeit. InterACT eröffnet sozial benachteiligten Gruppen, denen die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe vorenthalten wird, über Theaterkunst Artikulations- und Partizipationsmöglichkeiten und bringt mit interaktiven Theatermethoden unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen und die Politik in Dialog zueinander. In Phase 1 finden Theaterworkshops gemeinsam mit Personenbetreuer*innen statt, um die zentralen Anliegen herauszuarbeiten. Die Ergebnisse fließen in die Entwicklung einer Forumtheaterproduktion – Phase 2 – in Graz im November 2025 ein. In der Phase 3 werden 2027 im Zuge von Legislativen Theaterveranstaltungen vor politischen Entscheidungsträger*innen konkrete Vorschläge zu Verbesserung der Arbeitsbedingungen vorgestellt und über deren Umsetzungsmöglichkeiten diskutiert. „GETEILTES LEBEN“ freut sich über die Kontaktaufnahme unter: office@interact-online.org

Fotos: © Nikos Zachariadis

Robert Krotzer

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