Am 25. Oktober 2024, fand in Graz der Anerkannt!2024-Fachtag zum Thema Green Community Education statt. Unter der Moderation von Hilde Unterberger kamen im Co-Working spacelend zahlreiche Expert*innen aus Bildung, Arbeitsmarkt, Integration und Inklusion zusammen, um über die Verbindung von Nachhaltigkeit und gesellschaftlicher Vielfalt zu diskutieren.
Der Fachtag stellte zentrale Fragen: Wie lassen sich gesellschaftliche Vielfalt und Green Community Education sinnvoll verbinden? Welche Potenziale und Herausforderungen bieten die Qualifikationen zugewanderter Personen für den Arbeitsmarkt und das soziale Zusammenleben in Österreich? Ziel war es, eine Schnittstelle zwischen Fähigkeiten, die sozioökologische Nachhaltigkeit fördern und solchen, die zu einem respektvollen Zusammenleben beitragen, herzustellen. Ein Highlight war das Buffet von plauderBar in Kooperation mit Innovative Sozialprojekte – ISOP, das eine angenehme Atmosphäre für den informellen Austausch schuf. Der Fachtag bot den Teilnehmenden eine wertvolle Plattform, um neue Perspektiven kennenzulernen, sich zu vernetzen und Impulse für die Arbeit an der Schnittstelle von Nachhaltigkeit und gesellschaftlicher Vielfalt zu gewinnen.
Unbekannt – (V)erkannt – Anerkannt – Irene Cennamo & Doris Rottermanner
Die ersten Vortragenden des Tages waren Irene Cennamo von der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt und Doris Rottermanner vom Kärntner Bildungswerk. Mit ihrem Vortrag „Unbekannt – (V)Erkannt – Anerkannt“ widmeten sie sich der Frage, wie Kompetenzen aus der kommunalen Erwachsenenbildung, die häufig informell erworben werden, sichtbarer und nutzbar gemacht werden können. Diese informellen Fähigkeiten und Kenntnisse bleiben oft für Bildungspolitik, Arbeitsmarkt und Gesellschaft unsichtbar, obwohl sie, wie die Referentinnen betonten, eine bedeutende Rolle für das Individuum selbst aber auch für die Gemeinschaft spielen können. Anhand eines Beispiels aus der Green Community Education reflektierten Cennamo und Rottermanner Bildungserfahrungen von Erwachsenen und ganzen Communities. Ein kreatives Dialogformat ermöglichte es den Teilnehmenden, konkrete Situationen nachzuvollziehen und trug zur praxisnahen Aufarbeitung der Thematik bei. Dabei lag der Fokus auf einem gemeinsamen Austausch über die Möglichkeiten und Grenzen der Anerkennung informeller Kompetenzen sowie auf den Potenzialen und Dilemmata, die mit deren Verwertbarkeit verbunden sind.
Die Referentinnen stellten das Konzept der Green Community Education als spezialisierte Form der gemeinwohlorientierten Bildung vor, die durch Beteiligung am kommunalen Leben und gezielte Vernetzung das Lernen in der Gemeinschaft fördert. Dabei spielen Prinzipien wie die Aktivierung betroffener Personen, Partizipation und Selbstorganisation eine zentrale Rolle, um nachhaltige und solidarische Gemeinschaften zu fördern. Zudem wurde im Vortrag die ambivalente Rolle des lebenslangen Lernens hervorgehoben. Lebenslanges Lernen kann sowohl emanzipatorisch wirken, indem es Teilhabebarrieren abbaut, als auch zur rein marktorientierten neoliberalen Verwertung von „Humankapital“ beitragen. Hier stellte sich die Frage, ob Kompetenzerfassung tatsächlich den Menschen dient oder nur zur Quantifizierung und ökonomischen Nutzung ihrer Fähigkeiten beiträgt. Ein weiterer Schwerpunkt lag auf der „Kompetenzvalidierung“ im Rahmen des „Rings Österreichischer Bildungswerke“: Ein dialogisches Verfahren zur Erfassung informeller Kompetenzen ermöglicht es den Teilnehmenden, ihre eigenen Fähigkeiten durch Selbsteinschätzung und Unterstützung sichtbar zu machen. Am Beispiel der Kompetenz „Eigeninitiative“ wurde verdeutlicht, wie sich Kompetenzen durch konkrete Tätigkeiten nachweisen und für die persönliche Entwicklung nutzen lassen.
Abschließend wurde auf die Herausforderung hingewiesen, informelles Lernen in gesellschaftliche Anerkennungsverfahren bzw. auch in rechtsverbindliche Anerkennungsformen zu integrieren. Die Referentinnen betonten, dass der gesellschaftliche Nutzen und die Subjektivität von Lernprozessen es schwierig machen, Kompetenzen objektiv zu messen. Die Frage nach dem Zweck von Bildung bleibt ein zentrales Dilemma: Bildung sollte nicht nur der wirtschaftlichen Nutzbarkeit dienen, sondern auch die soziale Teilhabe ermöglichen.
Bewertung und Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen – Ingrid Wadsack-Köchl
Die nächste Vortragende war Ingrid Wadsack-Köchl von ENIC-NARIC Austria, Leiterin der Abteilung für Rechtsfragen, Rechtsentwicklung und internationales Hochschulrecht im Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung in Wien. In ihrem Vortrag erläuterte sie die Bedeutung von Verfahren zur Anerkennung ausländischer Qualifikationen – dies auch im Hinblick auf Green Jobs.
Laut EU-Definition umfassen Green Jobs Tätigkeiten, die Umweltschäden vermeiden und natürliche Ressourcen erhalten. Sie sind in verschiedenen Sektoren wie erneuerbaren Energien und nachhaltigem Bauen angesiedelt. Die Institution ENIC-NARIC Austria standardisiert die Bewertung formaler Hochschulqualifikationen aus dem Ausland durch Gutachten, die von einem Expert*innenteam in der OeAD GmbH (Agentur für Bildung und Internationalisierung) erstellt werden. Seit 2013 können Bewertungen online beantragt werden, was eine verlässliche Einschätzung ausländischer Qualifikationen ermöglicht. Zukünftig soll die auch Arbeitsplatzbewirtschaftung für Green Jobs vermehrt erleichtern. Ein neuer wichtiger Aspekt ist die Kurzbewertung von Qualifikationen, die seit 2024 durch eine interne Datenbank und ein KI-gestütztes System unterstützt wird. Dieses System erleichtert den Bewertungsprozess und bietet schnellere und überprüfbare Einschätzungen über QR-Codes.
Der Vortrag betonte die strategische Bedeutung der Anerkennung ausländischer Qualifikationen für den österreichischen Arbeitsmarkt, insbesondere für die Mobilität qualifizierter Fachkräfte und die qualifizierte Migration. Der klare Bewertungsprozess ermöglicht eine fundierte Einschätzung durch österreichische Arbeitgeber*innen. Seit der Einführung der kostenfreien Kurzbewertung im Jahr 2024 wird die Effizienz des Verfahrens verbessert, was besonders für Green Jobs relevant ist. Die Nachfrage nach Bewertungen aus Ländern wie der Ukraine, dem Iran, Syrien und der Türkei zeigt die Relevanz internationaler Qualifikationen in gefragten Bereichen wie Ingenieurwesen und Wirtschaft.
Abschließend betonte Wadsack-Köchl die wichtige Rolle der Anerkennung ausländischer Qualifikationen für die Förderung qualifizierter Migration und die Stärkung des Arbeitsmarkts in Österreich, insbesondere im Bereich der Green Jobs und hob hervor, dass die standardisierten Verfahren und KI-gestützten Instrumente viel zur beruflichen Integration und nachhaltigen Entwicklung beitragen.
Beispielhafte Projektvorstellungen:
Beschäftigungsprojekt Die Manufaktur – Ines Stuchly-Weissensteiner & Muhannad
https://diemanufaktur.org/
Nach der Pause wurden exemplarische Projekte vorgestellt, die Einblicke in die Arbeit sozialer Beschäftigungsinitiativen geben. Den Auftakt machte Ines Stuchly-Weissensteiner, Projektleiterin von Die Manufaktur, gemeinsam mit dem Co-Referenten Muhannad. Das Projekt bietet vor allem Menschen mit Migrationshintergrund berufliche Perspektiven und fördert nachhaltige Kreislaufwirtschaft sowie interkulturelles Zusammenarbeiten. Stuchly-Weissensteiner und Muhannad schilderten ihre Erfahrungen, einschließlich der Erfolge und Herausforderungen in einem multikulturellen Arbeitsumfeld. ,,Die Manufaktur“ umfasst Restaurierungen, einen Tauschladen und Deutschsprachtrainings mit dem Ziel, berufliche Perspektiven und interkulturellen Austausch zu schaffen.
Ein besonderer Fokus lag auf der Geschichte von Muhannad, einem jungen Akademiker mit einem anerkannten Bachelorabschluss in Wirtschaft, der ein Masterstudium in Human Resources bereits begonnen hat. Er ist vor drei Jahren aus Syrien geflüchtet und bereitet sich auf seine B2-Deutschprüfung vor. Trotz seines Engagements und seiner Qualifikationen sind seine Bewerbungen auf dem regulären Arbeitsmarkt bisher erfolglos, da viele Unternehmen zögern, Menschen ohne fließende Deutschkenntnisse einzustellen. Die Manufaktur unterstützt ihn, da sie motivierten Arbeitskräften wie ihm Perspektiven bieten möchte. Stuchly-Weissensteiner appellierte hierbei an die österreichische Bildungs- und Unternehmenslandschaft, solchen Personen mehr Chancen anzubieten.
Der Vortrag verdeutlicht die Herausforderungen geflüchteter Menschen im Arbeitsmarkt und die Notwendigkeit, ihnen berufliche Perspektiven aufzuzeigen. „Die Manufaktur“ ist ein Beispiel dafür, wie interkulturelle Projekte zur Integration beitragen und bestehende Vorurteile abbauen können. Es ist eine gesellschaftliche Verantwortung, solche Initiativen zu unterstützen und die Potenziale entsprechend zu fördern.
Freiwilliges Engagement Soziale Integration-FESI (LebensGroß) – Hannah Osei
https://www.lebensgross.at/innovationsprojekte/fesi/
Der nächste praxisnahe Vortrag wurde von Hannah Osei, Mitarbeiterin von LebensGroß, gehalten. Sie stellte das Projekt FESI vor, das sich auf die Ausbildung von Frauen mit Migrationsbiografie zu freiwilligen Community-Multiplikatorinnen konzentriert. Ziel des Projekts ist es, diesen Frauen das notwendige Wissen zu vermitteln, um andere zugewanderte Frauen in Themen wie Frauenrechte, Ausbildung, Jobsuche, Klimaschutz und Gesundheit zu unterstützen.
Das fünfmonatige Programm richtet sich an Frauen ab 18 Jahren mit Migrationshintergrund und endet mit einem Abschlusszertifikat. Die Teilnehmerinnen lernen in kleinen Gruppen, die sich zweimal pro Woche treffen. Osei erläuterte die fünf zentralen Module des Projekts, die die Frauen auf ihre Rolle als Multiplikatorinnen vorbereiten. Zu Beginn lernen sie das Thema „Ich als Multiplikatorin“ kennen, gefolgt von „Frau-Sein in Graz: Meine Rechte, meine Möglichkeiten“, in dem sie sich mit ihren Rechten auseinandersetzen. Ein weiteres Modul, „Arbeit & Ausbildung: Was kann ich, was will ich lernen?“, hilft ihnen berufliche Perspektiven zu erkunden. Hier gestaltet Projekt „Anerkannt!“ Workshops. Zudem wird das Thema „Gesund und aktiv leben in Graz“ behandelt. Im letzten Modul „Beteiligung: Wie kann ich mich in Graz einbringen?“ werden die Frauen angeregt, sich aktiv in ihre Gemeinschaft und in die Stadt Graz einzubringen.
Hannah Osei betonte die Bedeutung von freiwilligem Engagement für die soziale Integration und die Stärkung von Frauen in ihrer neuen Umgebung. Das FESI-Projekt leistet einen wichtigen Beitrag zur Förderung von Selbstbewusstsein und Teilhabe, der sowohl den individuellen Frauen als auch der Gesellschaft insgesamt zugutekommt.
Open Learning Center-OLC (Caritas) – Omnia Metwaly
https://www.caritas-steiermark.at/hilfe-angebote/flucht-integration/bildung-arbeit/open-learning-center
Omnia Metwaly, Umweltsystemwissenschaftlerin und Expertin für Nachhaltigkeit und Umweltmanagement, ist an der Universität Graz sowie der TU-Graz tätig und engagiert sich als Tutorin für Mathematik und Elektrotechnik im Open Learning Center (OLC) der Caritas Steiermark. In ihrem Vortrag stellte sie das OLC vor, das benachteiligte Jugendliche und Erwachsene ab 15 Jahren, insbesondere in Mathematik, unterstützt und ihren Bildungszugang in naturwissenschaftlichen Fächern verbessert. Frau Metwaly berichtete von ihrer umfangreichen Erfahrung an der Schnittstelle von Nachhaltigkeit sowie sozialen und ethnischen Fragestellungen. Sie betonte die Bedeutung, Bildungschancen und nachhaltiges Wissen zu vereinen, um Bildungsbarrieren abzubauen und gesellschaftliche Teilhabe zu fördern. Besonders beeindruckend ist ihr Engagement für interdisziplinäre Projekte, die in universitären und wirtschaftsnahen Kontexten den Zusammenhang zwischen ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit beleuchten.
Das OLC richtet sich an Menschen ab 15 Jahren, die bildungsbenachteiligt sind oder eine Bildungslücke aufweisen, insbesondere solche mit Flucht- oder Migrationshintergrund. Das Zentrum bietet eine Vielzahl von Unterstützungsangeboten, darunter Tutorien in Mathematik, Deutsch, Englisch und Elektrotechnik sowie Bildungsbegleitung, Lernräume und Workshops. Zu den Workshops zählen Themen wie „Stereotypen im Bildungskontext“, „Lernen lernen“ und „Prüfungsvorbereitung“, die individuelle Bildungszugänge erleichtern.
Zusätzlich berichtete Frau Metwaly über ihre Mitarbeit an interdisziplinären Projekten wie der „Sustainability Challenge 2024“, dem „Langen Tag der Energie“ und dem „Innovation Marathon 2024“ in Wien. Sie unterstrich die Bedeutung von Vielfalt im Bildungs- und Nachhaltigkeitskontext und die wichtige Rolle, die Diversität bei der Förderung von Innovation und langfristiger Nachhaltigkeit spielt.
Kastner&Öhler und Gigasport – Isabella Tatzberger
https://www.kastner-oehler.at/
Den Abschluss der Vortragsreihe bildete Isabella Tatzberger, Nachhaltigkeitsmanagerin bei Kastner & Öhler (K&Ö), einem der größten Mode- und Sporteinzelhändler Österreichs. In ihrem Vortrag stellte sie die Schritte des Unternehmens in Richtung Nachhaltigkeit vor, darunter die Erstellung des ersten Nachhaltigkeitsberichts, der die ökologischen und sozialen Bemühungen von K&Ö transparent darlegt. Sie erwähnte die „Corporate Sustainability Reporting Directive“ (CSRD), die Unternehmen verpflichtet über ihre Nachhaltigkeitsmaßnahmen zu berichten. Ein Highlight war das Textilrecycling-Projekt, das in Kooperation mit Saubermacher, der Stadt Graz und Holding Graz umgesetzt wird. Dieses Projekt zielt darauf ab Textilabfälle zu reduzieren und Materialien in den Kreislauf zurückzuführen.
Frau Tatzberger präsentierte nachhaltige Maßnahmen wie die Installation einer Photovoltaikanlage mit 5.500 Solarpaneelen auf dem Zentrallager sowie die Umstellung auf LED-Beleuchtung, die jährlich etwa 2,39 Millionen kWh einspart. Initiativen wie die „Jeans-Eintauschaktion“ zur Wiederverwertung alter Jeans und chemiefreie Reinigungsmethoden zeigen, wie K&Ö ökologische Verantwortung übernimmt. Zudem berichtete sie über die Einhaltung internationaler Arbeitsstandards durch die Mitgliedschaft in der „Fair Wear Foundation“, die sich für bessere Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie einsetzt.
Mit ihrem praxisnahen Einblick zeigte Isabella Tatzberger eindrucksvoll, wie sich ein etabliertes Unternehmen wie Kastner & Öhler der Verantwortung stellt, aktiv nachhaltige und soziale Standards umzusetzen – ein Engagement, das in diesem Umfang viele überrascht hat.
Der Anerkannt!2024-Fachtag bot eine wertvolle Plattform für den Austausch über Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Vielfalt sowie die Gelegenheit, neue Kontakte zu knüpfen. Die Vorträge und Diskussionen schärften das Bewusstsein für die Herausforderungen und Chancen in der Green Community Education und stellten den Bezug zu den stark im Kommen befindlichen „Green Jobs“ her. Besonders aufschlussreich war der abschließende Workshop, in dem drei Gruppen die gewonnenen Informationen reflektierten und gemeinsame Ansätze erarbeiteten. Die Teilnehmenden genossen zudem ein köstliches Mittagessen von plauderBar in Kooperation mit ISOP, das den informellen Austausch und das Networking förderte. Dieser Fachtag zeigte eindrucksvoll, dass das Engagement und die Zusammenarbeit der Fachpersonen für Vielfalt und Nachhaltigkeit weiterhin stark nachgefragt sein wird.
in Zusammenarbeit mit: